Interview von Ana Pastravanu mit Martin Schneider

Ana: Wie würdest du die Anfänge von Tomato beschreiben?

Martin: Eine der größten Herausforderungen in den ersten Tagen war es, den Firmennamen, die Ausrichtung, das Markenimage und die Positionierung auf dem Beratungsmarkt zu finden. Tomato war von 1992 bis 1995 ein Ein-Personen-Unternehmen. Dann, von 1996 bis 2001, kam die Zeit der Partnerschaften und der Eröffnung von Büros in Lugano, Mailand, München, Paris und Boston. Seit vielen Jahren sind wir heute ein Team von zwei, drei Personen für Kundenprojekte und Lösungen. Dazu drei Personen, die uns punktuell in Sales, Marketing und Admin unterstützen.

Ana: Wie beurteilst du die Dot-Com-Blase von 1998 bis 2000?

Martin: Daran kann ich mich noch gut erinnern. Viele Leute hielten die Cash-Burn-Rate für wichtiger als Liquidität und Bilanz. Bodenständige haben sich gefragt: Wie kann das sein? Wir müssen uns nicht um Einnahmen und Kundenrechnungen kümmern? Das alles endete in riesigen Skandalen.
Liquidität und Cash und deren Planung sind das A und O einer Firma verbunden mit gesunden Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen.

Ana: Welches System des Unternehmens-Zahlungsverkehrs war erfolgreich?

Martin: Es geht weniger um die Systeme, sondern um Prozesse optimieren also Straight-Through-Processing (STP) vom Buchhaltungssystem zur Bank und zurück. EBICS und SWIFT-Banking-Gateways mit Swift FileAct ersetzen die lokalen e-bankings. Das wurde ab 2010 eine Erfolgsgeschichte. Diese dedizierten sicheren Gateways sind unternehmensweit transparent, IKS-sicher und ermöglichen einfache berechenbare Liquiditätsplanung.

Swift-Mitglied zu werden, war meine Vision bzw. mein Traum als Treasurer von Pirelli im Jahr 1987. Damals war Swift Macug oder allenfalls die Wandlung der Treasury-Abteilung in eine Bank die Lösung. Im Jahr 2005, also 20 Jahre später, wurde mein Traum von einem Gateway wahr. Von diesem Moment an wusste ich, dass wir ein führendes Wissensunternehmen in diesem Bereich sind.

Im Jahr 2014 waren SEPA- und EUR-XML-Dateien die zukünftigen globalen Standards für Zahlungsdateien. Seitdem haben wir XML-Formate auf der ganzen Welt implementiert, von den USA bis Brasilien, Indien, China und Thailand. Swift wird seine MT-Dateien bis 2025 durch MX-Dateien ersetzen. Dies ist ein Meilenstein in der Geschichte des Zahlungsverkehrs.

Ana: Wie bist du mit Krisen umgegangen?

Martin: Krisen? Ja, Albträume kommen alle paar Jahre auf. Die Russlandkrise 1997, die Dotcom-Krise 2000, Nine-Eleven 2001, die Finanzkrise 2008, das freie Floaten des CHF gegenüber dem EUR 2015, Covid 2020, usw. Wir sind genauso verwundbar wie unsere Firmenkunden, und ich muss den Fortbestand der Tomato AG sorgfältig überwachen. Manche Kunden brauchen uns in einer Krise nicht. Wenn zum Beispiel der Finanzvorstand unternehmensweite Kürzungen vornehmen muss, neigt er dazu, bestimmte Projekte im eigenen Bereich anzuhalten.

In Zeiten, in denen wir weniger Aufträge hatten, habe ich die Mitarbeiter von meinem persönlichen Geld bezahlt. In solchen mageren Zeiten haben wir unsere Marketinganstrengungen verdoppelt und verdreifacht und Geld in den Vertrieb und die Geschäftsentwicklung investiert. Aber wir waren immer konzentriert und umsichtig. So entwickelte sich Tomato langsam, mit Beharrlichkeit, täglichem Einsatz und Disziplin zu dem Unternehmen, das wir heute sind. Ein stabiler Geschäftsbetrieb, der felsenfest steht. Auf diese Weise wurden Krisen zu einer Lektion fürs Leben. Gute Entscheidungen kommen aus der Erfahrung. Erfahrung kommt von schlechten Entscheidungen. So ist das Leben, ich bereue nichts, lerne aus Fehlern, entwickle mich weiter und habe Freude und Genuss am Prozess.

Ana: Wie beschreibst du Tomato’s Arbeitsethik und die Unternehmenskultur?

Martin: Wir kümmern uns um die Menschen, die Mitarbeiter der Kunden. Sparen deren Arbeitszeit, machen sie effizient. Strukturen und Standards erfinden und definieren. Wir arbeiten mit fünf bis acht Kunden auf einmal. Während eines Projekts, das 1-3 Jahre dauert, brauchen die Kunden in der Regel Zeit für Entwicklungen und Änderungen. So können wir an anderen Projekten arbeiten und dem Kunden die Zeit geben, die er braucht, um eine innovative Lösung zu finden, die seine Bedürfnisse zu 100 % befriedigt.

Wir beziehen alle Personen im Unternehmen des Kunden ein, die von den Veränderungen direkt betroffen sind, Sie können die Verbesserungen annehmen, anstatt widerwillig zuzustimmen. Viele unserer Kunden schätzen die Beziehung, die wir zu allen Beteiligten aufbauen, von der Basis bis zur Spitze, und dass wir über Jahre hinweg in Kontakt bleiben. Als kleines Unternehmen arbeiten wir Hand in Hand, auch wenn sich einige der Mitarbeiter in anderen Ländern und Kontinenten befinden.

Ana: Wie unterscheidet sich die Welt des Treasury, Buchhaltung und Risiko-Managements heute; von der Welt in der du vor 30 Jahren angefangen haben?

Martin: Die Veränderungen sind zahlreich, wobei der technologische Fortschritt, die globale Kommunikation und die IT die wichtigsten sind. Im IT-Bereich hat sich der Wandel von textbasierten Terminals zu lokalen Netzwerken, dem Internet und Cloud Computing vollzogen. Ich lese gerne über Alois Negrelli, einen Bauingenieur und Eisenbahnpionier, der im 19. Jahrhundert an riesigen Projekten in Europa und Nordafrika beteiligt war, wie dem Bau von Eisenbahnlinien in Deutschland, Österreich und Italien und der Münsterbrücke über die Limmat in Zürich. Eines seiner erstaunlichsten Projekte waren die Kanalisationsprojekte in Ägypten, namentlich der Suezkanal. Seine klare Vision ist auch heute noch von Bedeutung. Menschen mit klarer Vision inspirieren mich, die sich die notwendigen Fähigkeiten aneignen und dauerhafte Erfindungen und Lösungen erzielen und für unsere Kunden einfallsreich zu sein.

Ana: Was war die wichtigste Lektion, in diesen 30 Jahren bei Tomato? Wie war es während der Pandemie?

Martin: Zum Wohle der Menschen/Mitarbeiter und unserer Kunden zu handeln, mit Fakten zu überzeugen, durch die Automatisierung von Prozessen Zeit zu sparen und schnellere, innovative Lösungen anzubieten. Alles, was wir im Laufe der Jahre verbessert haben, kam unseren Kunden zugute. Die Pandemie hat uns neue Wege der Kommunikation mit den Kunden gelehrt, um sicherzustellen, dass die Projekte auf Kurs bleiben.

Ana: Was sind für dich die grössten Errungenschaften seit der Tomato-Gründung 1992?

Martin: Auch ein kleines Unternehmen kann über viele Jahre hinweg große Erfolge erzielen. Manchmal überschätzt man, was man in einem Jahr erreichen kann, und unterschätzt, was man in fünf Jahren erreichen kann.

Ana: Was sind deine schönsten Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit dem Tomato-Team?

Martin: Die kostbare Zeit bei der Arbeit und damit der Erfolg der Mitarbeiter unserer Kunden, die persönlichen Beziehungen und Freundschaften, die über die Jahre aufgebaut wurden, sind die besten Erinnerungen.

Ana: Wenn du auf diese 30 Jahre zurückblickst gibt es eine Sache zu verbessern; was wäre das?

Martin: Wir wollen DER Spezialist in einem bestimmten Bereich sein und unsere Dienstleistungen in diesem Bereich ausbauen, anstatt an Dienstleistungen in mehreren Bereichen zu arbeiten, die andere genauso gut erledigen können.

Ana: Wie hälst du die Energie und die Motivation aufrecht?

Martin: Disziplin, Zuverlässigkeit! Mein Sinn für Humor ist vielleicht verloren gegangen, weil ich so akribisch bin. Tägliche Disziplin, das Verfolgen von Ereignissen, die Motivation, Probleme/Herausforderungen zu lösen, die Freude an einem langfristigen Ziel halten mich aufrecht.

Ana: Was ist deine grösste Hoffnung für die nächsten Jahrzehnte für Tomato?

Martin: Den Fokus auf die Entwicklung unserer Nische zu legen, ein kleines Team bleiben, sowie die Nachfolgeplanung anstreben: Das Einladen von interessierten Fachleuten für die Weiterführung der Tomato AG.